Von Miggi
An manchen Horror-Spielen kommt man mittlerweile auch im Mainstream-Kosmos fast nicht vorbei. Es gibt kaum jemanden, der nicht über das Remake von Silent Hill 2 gesprochen hat, rein aufgrund der Größe und Wichtigkeit des Originals. Ein Spiel wie Emio – Der lächelnde Mann: Famicom Detective Club wurde dann schon ein bisschen weniger oft diskutiert, hatte aber eventuell noch ein bisschen Nintendo-Bonus. AA-Titel wie A Quiet Place: The Road Ahead hatten diesen zwar nicht, aber auch dazu liest man hier und da mal etwas. Und dann gibt es kleinere Indie-Titel, die man nur durch Zufall oder selbstständige Recherche findet, obwohl sie eine viel größere Bühne verdient hätten. Paratopic zum Beispiel, das ich durch Zufall in einem Store-Sale entdeckt habe und das unfassbar gut war. Oder sie werden einem von jemandem empfohlen. Mouthwashing fällt auf jeden Fall genau in die letztgenannte Kategorie an Spielen und falls ihr noch nicht davon gehört habt - lasst mich doch die Person sein, die euch jetzt an dieser Stelle die Empfehlung mitgibt.
Mouthwashing beginnt, wie es sich für ein richtiges Horror-Spiel gehört, natürlich absolut wholesome und entspannt: ihr befindet euch an Bord des Pony Express Raumschiff-Frachters Tulpar, der von seinem Kapitän Curly ganz bewusst ins Verderben gesteuert wurde. Dieses glorreiche Manöver spielt ihr im Intro des Spiels auch direkt selbst. Gestrandet im Weltraum muss der Rest der Crew jetzt also nicht nur ums Überleben kämpfen, sondern sich auch um den verstümmelten und verbrannten Curly kümmern, der eingepackt in Bandagen auf der Krankenstation liegt. Während der ca. 2 bis 3 Stunden Spielzeit springt ihr non-linear durch verschiedene Zeitabschnitte der Handlung. Und an der Stelle muss ich mich selbst direkt einmal stoppen. Denn alles, was man jetzt noch über die Handlung oder den Aufbau davon verraten würde, wäre zu viel. Das erlebt ihr am besten selbst. Mich hat die Story jedenfalls sehr gut unterhalten und mit ihren Twists echt überrascht.
Das von insgesamt 7 Personen entwickelte Spiel erlebt ihr als Co-Pilot Jimmy aus der Ego-Perspektive und könnt euch relativ frei durch das Schiff bzw. die noch zugänglichen Bereiche bewegen. Dort trefft ihr auf die verschiedenen Crew-Mitglieder, mit denen ihr euch unterhalten könnt: Krankenschwester Anya, Mechaniker Swansea und sein Praktikant Daisuke bilden gemeinsam mit Curly und euch die überschaubare Crew, die ihr im Spielverlauf näher kennenlernt. Besonders smart gemacht fand ich dabei, wie nicht nur die Geschichte durch Environmental Storytelling vorangetrieben wird, sondern ihr neben den Dialogen mit den Figuren auch am Schiff selbst immer wieder Hinweise findet, die euch mehr über eure Mitgestrandeten zeigen. Die Beziehungen wirken dabei realistisch und auch der geistige Verfall über die Zeit ist glaubhaft dargestellt.
Mouthwashing spielt hier auch immer wahnsinnig clever mit dem Wissen der Spieler*innen und dem der Charaktere im Spiel selbst. Ihr habt zu jedem Zeitpunkt im Spiel eine aktive Aufgabe, die ihr erfüllen müsst, während die Geschichte, teilweise richtig abrupt, zum nächsten Punkt in der Timeline springt. Dabei kann es auch vorkommen, dass ihr im ersten Moment gar nicht genau wisst, warum ihr eine bestimmte Aufgabe erfüllen müsst, oder was diese überhaupt bedeutet, während euer Charakter und auch die Crew um euch herum natürlich genau weiß, was gerade abgeht. Auch hier will ich wieder nicht zu viel verraten, aber wie geschickt die Entwickler*innen hier mit den Story-Stücken hantiert haben und an welcher Stelle sie welchen Abschnitt platziert haben ist im Nachhinein betrachtet ein richtiges Kunststück und ein wichtiger Faktor, warum die Story so gut funktioniert.
Während ihr euch durch das Schiff und die Story bewegt, werdet ihr immer wieder mal vor kleinere Aufgaben und Rätsel gestellt, wobei ihr euch keine Sorgen machen müsst, dass die Rätsel zu komplex sind. Es gibt auf jeden Fall genug Abwechslung, damit ihr nicht immer das exakt gleiche machen müsst und das Spiel lässt euch immer wieder mal kurz einen neuen Ansatz suchen. Als richtig schwer empfand ich aber persönlich keinen der Abschnitte, das Gameplay wird hier bewusst in den Hintergrund gerückt, um der Story mehr Platz zu geben. Meistens nutzt ihr zur Lösung des Rätsels einen der Gegenstände, die ihr in den verschiedenen Bereichen des Schiffs findet, wie z.B. den Scanner des Kapitäns, der mit seiner UV-Lampe versteckte Codes anzeigen kann. Außerdem gibt es im Spiel verteilt ein paar Collectibles, die an der Handlung selbst aber nichts verändern.
Getragen wird das Spiel aber nicht nur von seiner immersiven Story und den Figuren, sondern, wie ihr vermutlich an den Screenshots schon erkannt habt, auch durch den Look. Der PS1-Look der Spielwelt und Charaktermodelle passt einfach perfekt und ich persönlich bin ein riesiger Fan davon, dass dieser Style gerade sein Comeback feiert. Trotz oder vielleicht auch gerade durch den Stil schafft es das schwedische Studio Wrong Organ eine bedrückende und angespannte Atmosphäre aufzubauen, die ihresgleichen sucht. An die Charaktere werde ich mich optisch noch lange erinnern und manche Abschnitte im Spiel haben sich gefühlt auf meiner Netzhaut eingebrannt. Vor allem gegen Ende dreht Mouthwashing hier so auf, dass ich einfach nur noch staunend vorm Rechner saß.
Mouthwashing ist aktuell, wie auch der erste Titel des Studios How Fish Is Made, von dem ich jetzt weiß, dass ich ihn unbedingt nachholen muss, nur auf dem PC spielbar. Und vielleicht hatte ich Pech, aber ich hatte an einer Stelle des Spiels einen ganz seltsamen Bug, der irgendwie nur noch mehr zur Atmosphäre beigetragen hat, dafür aber auch zwei Crashes bzw. einen Punkt, an dem ich neu laden musste, um weiterspielen zu können. Das fällt insgesamt nicht unfassbar schwer ins Gewicht, hat mich aber doch immer kurz aus der dichten Atmosphäre des Spiels gerissen. Die entsteht übrigens nicht nur durch den bereits beschriebenen Look, sondern auch das unfassbar kompromisslose und geniale Audio-Design. Wer auch immer die Sounds für dieses Spiel aufgenommen hat, verdient einen Preis und ich würde echt gerne wissen, wie manche davon entstanden sind. Gleichzeitig hat das Spiel einen wahnsinnig guten Soundtrack von Martin Halldin spendiert bekommen, den ich mir sofort auf Vinyl holen werde, sobald es ihn (hoffentlich) in der Form geben wird. Alleine das von Twin Peaks und Cannibal Holocaust inspirierte Main Theme ist unfassbar. Am besten hört ihr euch das einfach mal auf Spotify an.
"Mouthwashing ist genau die frische Mundspülung, die man nach AAA-Titeln wie dem Silent Hill 2-Remake braucht, um sich wieder bewusst zu werden, welche wunderschön verstörend-kreativen Facetten Horror eigentlich haben kann."
Ich freue mich sehr, dass es da draußen noch kleine Teams gibt, die ihrer Kreativität und Vision freien Lauf lassen, damit Spiele wie Mouthwashing erscheinen. Als Fan von surrealem Horror hat mich das Spiel von Anfang an mit seiner Atmosphäre abgeholt, der PlayStation 1-like Look ist wie für mich gemacht und das narrative Design des Spiels ist unfassbar gut umgesetzt. Die Geschichte hält einen bis zum Schluss bei der Stange und bis auf ein paar technische Macken gibt es eigentlich nichts, was ich an dem Spiel auszusetzen habe. Mouthwashing ist genau die frische Mundspülung, die man nach AAA-Titeln wie dem Silent Hill 2-Remake braucht, um sich wieder bewusst zu werden, welche wunderschön verstörend-kreativen Facetten Horror eigentlich haben kann. Ich hoffe wir sehen von Wrong Organ in Zukunft noch sehr viel mehr und bis dahin werde ich auf jeden Fall mal How Fish Is Made nachholen. Und ihr nutzt am besten jetzt diese Empfehlung und schwingt euch am besten noch vor Halloween auch an Bord der Tulpar.