Von Miggi
Die Wolfenstein-Reihe war vor allem im deutschsprachigen Bereich oft nicht wegen des Spiels selbst, sondern wegen der Politik drumherum Gesprächsthema und das, obwohl die Spiele immer First Person-Shooter-Action auf höchstem Niveau zu bieten hatten. Zwischen der Veröffentlichung von Wolfenstein II: The New Colossus und Wolfenstein: Youngblood wurde die sogenannte Sozialadäquanzklausel des § 86a Abs. 3 des Strafgesetzbuches - ja, ich weiß, niemand kann sich das merken und auch ich musste der Vollständigkeit halber googlen - für Videospiele erlaubt, die es der USK seit August 2018 möglich macht auch Spiele zu bewerten, in denen verfassungswidrige Zeichen auftauchen. Verboten sind Hakenkreuze und Co. natürlich weiterhin, aber wie in Filmen schon lange, darf nun auch in Videospielen bewertet werden, ob durch diese Klausel diverse Symbole auftauchen dürfen. Und so erscheint Wolfenstein: Youngblood diesmal neben der deutschen Version auch erstmals offiziell in der internationalen Version in Deutschland. Wer also nicht gegen "Das Regime" von Herrn Heiler kämpfen will, kann das diesmal auch in Deutschland ohne Umwege tun.
Im neuesten Teil übernehmt ihr allerdings diesmal nicht wie sonst in den Vorgängern die Kontrolle über den polnisch-jüdischen B.J. Blazkowicz. Der auch als "Terror Billy" bekannte Held lässt in Wolfenstein: Youngblood seinen beiden Töchtern den Vortritt, was nicht nur der Story, sondern vor allem dem Spielprinzip selbst, frischen Wind einhaucht. Die beiden Protagonistinnen laufen nämlich zeitgleich durch die Level und machen den aktuellen Ableger zum lupenreinen Coop-Shooter. Entweder bestreitet ihr das Spiel dabei mit einer AI-gesteuerten Figur an eurer Seite oder aber - und das ist der eigentliche Clou - mit einer realen Person. So springt und ballert ihr euch, um das bestmögliche Spielerlebnis zu bekommen, zu zweit durch die Missionen und das dank dem sogenannten Buddy Pass auch, wenn nur eine der beiden Personen das Spiel besitzt. Besitzt ihr die Deluxe Edition des Spiels, könnt ihr mit diesem Buddy Pass jederzeit jemanden einladen mit euch zu spielen. Ein Feature, das Spielen, die man hauptsächlich im Coop erleben sollte, auf jeden Fall sehr gut tut.
Nachdem wir uns im quasi Vorgänger durch ein Amerika der 60er-Jahre gekämpft haben, das von den Nazis besetzt war und sogar bis auf die Venus geflogen sind, setzt Wolfenstein: Youngblood etwa 20 Jahre später an. Wir schlüpfen in die Haut von wahlweise Jessica oder Sophia und wollen versuchen den verschwundenen Vater B.J. wiederzufinden. Dieser ist beinahe spurlos verschwunden, nur ein paar Notizen, die die Töchter am Dachboden finden, weisen darauf hin, dass er nach Paris gereist ist, um den französischen Widerstandskämpfer*innen beim Kampf gegen die Nazis beizustehen. Prompt stehlen Jess und Soph, wie sie sich gegenseitig nennen, einen FBI-Helikopter und machen sich auf den Weg, um ihren Vater ausfindig zu machen. Gemeinsam mit der Anführerin der - bitte mit französischem Akzent lesen - Resistance Juju und ihren Kamerad*innen geht es in Neu-Paris dann auch direkt ans Eingemachte.
Der Unterschlupf des Widerstands ist dabei eine Art Hub für euch. Hier nehmt ihr Aufträge entgegen, optionale und storyrelevante, sprecht mit den verschiedenen NPCs und könnt sogar, wie in den neuen Wolfenstein-Teilen üblich, an einem Arcade-Automaten Wolfen... nein, entschuldigt, "Elite Hans - die neue Bedrohung" spielen. Wahlweise Seite an Seite mit eurer Schwester. Diesmal gibt es nämlich eine kleine Bizarro-Portierung des Titels aus dem Jahr 1992, in der ihr als Nazi gegen die Alliierten kämpfen müsst, inklusive Easter Egg in dem erwähnt wird, dass der Widerstand doch ein Spiel wie dieses machen und es Wolfenstein 3D nennen sollte. Ansonsten könnt ihr im Untergrund-Hub eure gesammelten Tapes decoden und ansehen und per Schnellreise in die verschiedenen Missions-Gebiete reisen. Denn Wolfenstein: Youngblood nimmt auch hier einen etwas anderen Weg, als seine linear-storygetriebenen Vorgänger-Teile. Ihr kämpft euch durch verschiedene kleine Gebiete von Neu-Paris, die eure Missionsziele beinhalten, könnt diese aber auch komplett selbstständig untersuchen, Verstecke finden und euch austoben wie ihr wollt. Hier merkt man definitiv den Einfluss von Arkane Studios, bekannt für die Dishonored-Reihe und das Reboot von Prey.
Eure Missionen erledigt ihr nämlich nicht in vorgegebener Reihenfolge, sondern könnt euch relativ frei aussuchen, was ihr wann machen wollt. Die Missionen selbst haben dabei Levelempfehlungen, die euch in etwa vorgeben, wie stark ihr sein solltet und wann ihr sie schaffen könnt. Im neuesten Teil sammelt ihr diesmal nämlich Erfahrungspunkte, die euch euren Charakter aufbessern lassen. Pro aufgestiegenem Level könnt ihr euch einen Skill aussuchen, darunter simple Dinge wie höhere Gesundheit oder Panzerung, aber auch die Fähigkeiten schwere Waffen aufnehmen zu können, leiser durch die Levels zu schleichen oder mehr Munition tragen zu können. Außerdem könnt ihr hier auch euer Pep-Signal aufbessern. Dieses Emote verwendet ihr, um euch und eurer Schwester im Kampf gewisse Buffs zu verpassen. Wolfenstein: Youngblood setzt das ganze Spiel über auf den Coop-Aspekt. Ihr helft euch mit Buffs aus, müsst euch gegenseitig aufhelfen, wenn einer Person die Energie ausgeht und teilt euch sogar die Leben. Segnet also eine der beiden Schwestern das Zeitliche, geht eines von drei Herzen verloren, habt ihr keine mehr, ist die Mission gescheitert und ihr müsst zurück an den letzten Checkpoint, die teilweise sehr weit auseinander liegen. Die geteilten Leben könnt ihr an Kisten auffüllen, die in den Levels relativ rar verteilt sind und die nur zu zweit geöffnet werden können.
Optimalerweise geht euer Teamwork natürlich so weit, dass ihr euch in den frei erkundbaren Abschnitten auf Collectibles, Munition, Münzen und alles weitere hinweist. Ein guter Teampartner ist in diesem Spiel wohl wichtiger denn je. Die eben genannten Münzen gibt es dabei zuhahuf auf eurem Weg und ihr solltet sie auch unbedingt einsammeln - Youngblood lässt euch damit effektivere Emotes, aber auch Waffen-Upgrades kaufen. So verbessert ihr eure Waffen nicht nur, sondern entwickelt sie in eine Richtung, die ihr auf euren Spielstil abstimmen könnt. Benny von den Sofa Samurais, mit dem ich das Spiel durchgespielt habe und ich hatten zum Ende hin bei ein und der selben Waffe komplett verschiedene Variationen davon in der Hand. Außerdem könnt ihr für eure Waffen und Rüstungen Skins kaufen, die ihr sonst nur mit Echtgeld erwerben könnt. Recht unnötig, aber wahrscheinlich ein leichter Cashgrab für Bethesda. Aber keine Sorge, ich habe keinen Cent für Emotes oder Skins ausgegeben, mein Coop-Partner und ich konnten bis zum Ende der Story mit den gesammelten Münzen trotzdem einen Rüstungs- und mehrere Waffen-Skins sowie eines der besten Emotes kaufen.
Technisch muss man beim Coop-Shooter natürlich Abstriche machen. Das heißt nicht, dass das Spiel schlecht aussieht oder sich in irgendeiner Art und Weise schlecht spielt, aber im Vergleich zum direkten Vorgänger habt ihr weniger Abwechslung - sorry, diesmal werdet ihr nicht ins Weltall geschickt - und auch weniger hohe Auflösung, was aber natürlich für ein Online-Coop-Spiel total verständlich ist. Auch die Framerate ist bei weitem nicht bei konstanten 60 FPS und hat immer wieder diverse Einbrüche, je nach Spielmodus größer oder kleiner. Vor allem in der Nintendo Switch-Version könnt ihr natürlich mit Downgrades rechnen, aber das liegt in der Natur der Hardware. Online gab es bei meinem Playthrough eigentlich keine auffälligen Lags und keinerlei Disconnects. Aufgrund der abnormalen Hitze in der Relase-Woche ging nur einmal meine Xbox One aus, um nicht zu überhitzen. Da kann das Spiel aber nichts dafür.
"Wolfenstein: Youngblood ist mehr Eurotrip-Buddy-Movie, als ernst gemeinter Nazi-Action-Thriller und ich liebe es."
Wer im neuesten Wolfenstein einen Nachfolger zu The New Colossus erwartet, in dem ein bisschen Zusammenspielen miteinfließt, der wird vom neuesten Teil sehr wahrscheinlich enttäuscht werden. Youngblood sieht sich eher als Spin-Off des selben Universums, das sich einiger Mechaniken der Hauptreihe bedient. Machine Games schafft hier gemeinsam mit Arkane Studios ein Spiel, das sich eher im Arcade-Shooter-Bereich findet, der Geschichte eine nicht so große Rolle gibt und vor allem vom Coop lebt. Wer darauf keine Lust hat, wird auch als treuer Fan der Serie eventuell nicht warm damit werden. Mir persönlich hat das Spiel aber genau deshalb für Zwischendurch wahnsinnig viel Spaß gemacht. Wolfenstein: Youngblood ist mehr Eurotrip Buddy-Movie, als ernst gemeinter Nazi-Action-Thriller und ich liebe es. Das Paris der 80er Jahre ist wunderschön geworden, bietet mehr als nur eine Referenz an die Popkultur der Zeit - nur eben mit Nazi-Twist - und wenn ihr eine Person habt, mit der ihr gerne zusammen spielt und, die den selben infantilen Humor besitzt, wie ihr, ist dieses Spiel trotz einiger berechtigter Kritikpunkte, wahrscheinlich genau das Richtige.