Von Miggi
Etwas mehr als zwei Jahre ist es mittlerweile her, dass The Plucky Squire bzw. Der Kühne Knappe, wie es bei uns heißt, bei der alljährlichen Devolver Digital-Präsentation im Juni 2022 angekündigt wurde. Mir ist damals schon direkt der Artstyle von James Turner aufgefallen, dem ich durch seine Arbeit an der Pokémon-Reihe irgendwann auf Instagram gefolgt bin und mich seitdem immer über seine Posts freue. Absolute Empfehlung für eure Timeline! Turner hatte nach seiner Rolle als Art Director von Pokémon Schwert und Schild, das für mich einige der smartesten Designs des Franchises hat, Game Freak verlassen und gemeinsam mit Johnathan Biddle, bekannt durch The Swords of Ditto, das Studio All Possible Futures gegründet. Und schon im allerersten Trailer wurde direkt klar, dass uns hier ein ganz besonderer Titel erwartet, dessen Ideen und Game Design-Entscheidungen man so bisher erst selten und in dieser Form als Gesamtes vermutlich noch nie gesehen hat.
Der Kühne Knappe - und damit meine ich jetzt nicht das Spiel, sondern unseren titelgebenden Helden Jot - lebt sein Leben innerhalb eines Buches. In dieser Geschichte ist er der große Held des Landes und wird von allen Einwohner*innen für seine Heldentaten gefeiert. Bis auf einen. Als der Zauberer Grummweil nämlich herausfindet, dass er in dieser Geschichte der Antagonist ist und dazu verdammt ist, immer wieder gegen Jot zu verlieren, schmeißt er den Protagonisten aus dem Buch und schreibt es so um, dass er zum Hauptcharakter wird und sich alles um ihn dreht. Jot findet das natürlich nicht ganz so super und gemeinsam mit seinen Freund*innen macht er es sich zur Aufgabe Grummweil zu besiegen und die Buch-Welt zu retten, da das Buch sonst irgendwann in einer Ecke im Schrank landet, was bedeuten würde, dass der Knappe und seine Geschichten für immer vergessen werden. Die Geschichte wird euch dabei in Dialogen voller Wortspiele von charmanten NPCs erzählt und das direkt in 11 verschiedenen Sprachen.
Durch die Geschichte bewegt man sich in Der Kühne Knappe immer über Doppelseiten im Buch, das nach einem Screen kurz umblättert, um euch in den nächsten Abschnitt zu bringen. Dabei bereist ihr verschiedene Gebiete und bekommt euren Weg immer kommentiert von einer Erzählerstimme. Das alleine würde das Spiel zwar zu einer witzigen Idee, aber noch nicht wirklich besonders machen. Dafür kommen dann zum Glück verschiedene Mechaniken dazu, die euch über die Geschichte hinweg begleiten und die ihr nach und nach freischaltet. Nachdem Grummweil euch aus dem Buch geschmissen hat, könnt ihr an bestimmten Stellen frei zwischen der Buch- und der "realen" Welt wechseln. So gibt es immer wieder 3D-Abschnitte, die aus realen Gegenständen bestehen und auf dem Tisch zusammengebaut wurden, auf dem das Buch liegt. Dort müsst ihr dann meistens einen Gegenstand holen, der es euch erlaubt im Buch selbst weiterzukommen.
Holt ihr euch diese Gegenstände könnt ihr nämlich zuerst erst einmal die Seiten des Buchs von außen umblättern und in den Abschnitten frei hin- und herwechseln. Später erhaltet ihr noch weitere Gadgets, mit denen ihr etwa die Seiten kippen, einen Stempel, der Gegenstände stoppt, auf der Seite platzieren oder Bomben ins Buch werfen könnt. Diese Fähigkeiten müsst ihr dazu nutzen, um Rätsel zu lösen, die euch immer wieder am Weiterkommen hindern. Gleichzeitig gibt es auch immer wieder Worträtsel, bei denen ihr bestimmte Satzstücke austauschen könnt, um eure Umgebung zu beeinflussen, ähnlich wie bei Baba Is You, nur bei weitem nicht so schwer. Generell ist Der Kühne Knappe kein schweres Spiel. Ihr habt zwar die Möglichkeit zwischen einem leichteren Story- und einem schwierigeren Abenteuer-Modus zu wechseln, aber ich hatte auch im Abenteuer-Modus nicht das Gefühl, dass das Spiel wirklich viel von mir abverlangt.
Aufgelockert wird das Gameplay immer wieder mit kurzen Abschnitten, die sich einerseits ideentechnisch von anderen Spielen und Genres inspirieren haben lassen, die andererseits aber auch immer wieder den (Art-)Style etwas ändern. Im ersten 3D-Abschnitt müsst ihr z.B. einen verzauberten Bogen von einer Waldelfe finden. Wie sich später herausstellt, ist diese eine Spielkarte im Stile von Magic: The Gathering und ihr müsst sie erst einmal in einem rundenbasierten RPG-Kampf besiegen, um ihren Bogen zu erhalten, der auch danach weiterhin in ihrem real anmuntendem Zeichenstil bleibt. Das ist nur eine von vielen Ideen, die ihr in den sieben bis acht Stunden Spielzeit sehen werdet und für mich haben diese Abschnitte nur noch mehr zum Charme des Spiels beigetragen. Man merkt hier einfach, dass sich das Team rund um Turner und Biddle wahnsinnig viele Gedanken gemacht hat und der Kreativität keine Grenzen gesetzt waren und hat gleichzeitig nie das Gefühl, dass hier irgendwas dreist kopiert oder geklaut worden wäre. Dafür sind die Passagen alle viel zu organisch ins Spielgeschehen integriert und haben in sich selbst viel zu viel Charme.
Das reguläre Gameplay mit den Kämpfen und Rätseln in Der Kühne Knappe ist dabei absolut solide, macht Spaß und führt nicht zu unnötigen Frustmomenten. Die Echtzeitkämpfe mit Schwert, Ausweichrolle und Special Moves, die ihr in einem Shop kaufen könnt, sind unterhaltsam und jederzeit fair gehalten, die Rätsel überstrapazieren ihren Rahmen nicht und werden mit weiterem Spielverlauf immer schwerer und auch das 3D-Platforming in den Passagen außerhalb des Buches hat mir richtig Spaß gemacht. Dass ein Spiel es überhaupt schafft 2D und 3D-Ansicht so gut zu kombinieren ist erstaunlich, dass dabei aber auch keine Perspektive viel besser wirkt als die andere, ist umso erfreulicher. Es wäre wirklich schade gewesen, wenn man etwa die 3D-Abschnitte nur als Lückenfüller gesehen hätte und sich währenddessen immer wieder zurück ins Buch gewünscht hätte. Das ist zum Glück gar nicht der Fall und die beiden Stile halten sich perfekt die Waage.
Dass Der Kühne Knappe fantastisch aussieht, muss ich an dieser Stelle vermutlich nicht mehr erwähnen. Aber wie gut der Artstyle sowohl in 2D als auch 3D funktioniert und wie viele kleine Kniffe und witzigen Ideen euch über den gesamten Spielverlauf immer wieder entgegen geworfen werden, hat selbst mich, der vom ersten Trailer an schon überzeugt war, überrascht. Vor allem die Passagen außerhalb des Buches, die mit Gegenständen aus der echten Welt wie Tassen, Linealen, Tintenfässern und Co. gebaut wurden, haben mich hier besonders abgeholt. Schon immer haben mich Spiele wie Micro Machines, Pikmin und Grounded fasziniert, in denen man sich als Miniatur-Figur in einer "normalgroße" Welt bewegt und Der Kühne Knappe reiht sich nun in diese illustre Runde mit ein. Aber auch die 2D-Umgebungen haben mich immer wieder breit grinsen lassen, wenn ich nicht gerade damit beschäftigt war zum Soundtrack mitzuwippen, den All Possible Futures teilweise sogar für kleine Rythm Games genutzt haben.
"Der Kühne Knappe nimmt euch mit auf eine zauberhafte kleine Geschichte in einer Welt, die man sonst nur aus Kinderbüchern kennt und hat für Jung und Alt gleichermaßen viel zu bieten."
Wenn man sich das Lineup von Publisher Devolver Digital ansieht, dann sticht Der Kühne Knappe mit seiner farbenfrohen Optik und seinem kinderfreundlichen Design doch etwas heraus. Das muss aber auch nichts Schlechtes sein und blickt man etwas hinter die Fassade, stellt man schnell fest, dass der Publisher seinem Aufgebot hier wieder einmal eine absolute Perle hinzufügen konnte. Der Wechsel zwischen 2D- und 3D-Passagen gelingt perfekt und nichts stellt dabei den jeweils anderen Part in den Schatten, die Geschichte hält einen vor allem mit den Dialogen und liebenswerten NPCs bei Laune und auch der Wechsel im Gameplay zwischen verschiedenen Rätsel-Arten, Kämpfen und Minispielen erzeugt einen wunderbaren Flow. Das Spiel ist kein 50-stündiges Open World-Epos und will es auch gar nicht sein. Im Gegenteil. Der Kühne Knappe nimmt euch mit auf eine zauberhafte kleine Geschichte in einer Welt, die man sonst nur aus Kinderbüchern kennt und hat für Jung und Alt gleichermaßen viel zu bieten. Mich hat das Spiel dardurch nicht nur durch seine Optik komplett überzeugt und ich denke, dass das nicht mein letzter Playthrough gewesen sein wird.