Animal Well

   Von Miggi

Titelbild zu Animal Well von Shared Memory Entwickler Billy Blasso und Publisher Bigmode

Ihr kennt doch bestimmt videogamedunkey. Also zumindest kenne ich ihn und wenn ich schon einmal jemanden kenne, dann heißt das was. Der Gaming-YouTuber macht auf jeden Fall sehr witzige Videos und hat sich 2022 mit seiner Partnerin Leahbee zusammengetan und das Publishing Label Bigmode gegründet. Sein Versprechen: ausschließlich gute Spiele zu veröffentlichen. Keine kleine Ansage und natürlich waren jetzt beim ersten von Bigmode gepublishten Spiel die Erwartungen hoch. Das von Solo-Developer Billy Basso 2017 gestartete Projekt wirkte auf den ersten Blick wie ein Metroidvania in Pixel-Optik, das allerdings auf den zweiten Blick mit großen Versprechen aufwarten konnte: das Verlangen ein Spiel zu schaffen, das keine Updates oder eine Online Connection benötigt und trotzdem Geheimnisse beinhalten soll, die man - und damit meine ich alle Spieler*innen weltweit - auch in ein paar Jahren eventuell noch nicht gelöst hat. Große Worte und ein Grund mehr sich das Spiel genau anzusehen.

Wer gerne an der Hand genommen wird und von Anfang an ein bisschen Story und Hintergründe hat, wird in Animal Well erst mal enttäuscht. Nachdem ihr im kurzen Intro kurz vier Flammen verschwinden und ein creepy Gesicht aufblitzen seht, springt das Spiel direkt ins Geschehen. Ihr sprießt zu Beginn des Spiels als kleiner Knödel, wie ich ihn getauft habe, aus einer Blume und seht am rechten Bildschirmrand ein Eichhörnchen an einer Nuss knabbern. Instinktiv lauft ihr erst einmal darauf zu, das Eichhörnchen haut erschrocken ab und von da an seid ihr selbstständig in die geheimnisvollen Welt des Spiels entlassen. Die ersten Screens geben euch hier direkt ein gutes Gefühl fürs Gameplay mit, lassen euch frei die Welt erkunden und, dass es keine zu Beginn offensichtliche Story gibt, hat mich überhaupt nicht gestört. Ganz im Gegenteil. Durch die mysteriöse Welt und die kleinen Storystückchen, die man sich selbstständig erschließen muss, war ich nur noch mehr motiviert alles genau unter die Lupe zu nehmen.

Die Spielfigur wird von einer Geisterkatze gejagt in Animal Well von Shared Memory Entwickler Billy Blasso und Publisher Bigmode
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Animal Well überhäuft euch dabei im ersten Moment nicht mit übermäßig komplexen Spielmechaniken, verschiedenen Moves oder diversen Tricks. Im Grunde könnt ihr euch zu Beginn erst einmal nur bewegen und springen. Und das auch nicht besonders weit. Recht schnell findet ihr dann kleine Pflanzen, die euch auf Knopfdruck einen kleinen Böller aufsammeln lassen, der bei Benutzung für kurze Zeit eure Umgebung erhellt und auch lichtempfindliche Geister abschrecken kann. Nach und nach könnt ihr dann euer Item-Inventar erweitern, etwa durch eine Seifenblasen-Maschine, deren Blasen ihr als temporäre Plattform nutzen könnt, ein Slinky bzw. Treppenläufer oder eine Frisbee-Scheibe, die Hunde ablenken und euch bei geschickter Nutzung sogar als Fortbewegungsmittel dienen kann. Wer sich nach da jetzt fragt, ob das ganze Inventar aus Spielzeugen besteht - ja, tut es und neue Moves lernt ihr so gesehen auch nicht. Ihr könnt lediglich eure gesammelten Spielzeuge zweckentfremden und klug nutzen, um die diversen Rätsel und Challenges der Spielwelt zu meistern. Und hier muss ich meinen einzigen, aber großen Kritikpunkt am Spiel anbringen: Das Item-Management im Spiel ist furchtbar. Ihr müsst mit den linken & rechten Schultertasten zwischen den Items switchen und wer sich nicht zu 100% gemerkt hat, in welcher Reihenfolge die Items stehen, wird hier nicht nur einmal in dumme Situationen kommen. Hier hatte ich bis zum Ende meine Schwierigkeiten und hätte mir eine smoothere Lösung gewünscht.

 

Und das obwohl ihr im gesamten Spielverlauf nicht wirklich kämpfen müsst bzw. es auch nicht könnt. Auch wenn ihr euer Inventar immer weiter ausbaut, findet sich darunter keine wirkliche Waffe und solltet ihr im Spiel einem gefährlichen Tier begegnen, müsst ihr entweder ausweichen, weglaufen oder einen anderen Weg finden, um die Gefahren zu überwinden. Da wäre etwa die Geisterkatze, die euch verfolgt, sobald ihr ihr Frisbee klauen wollt. Und ich werde euch an dieser Stelle nicht verraten, was ihr tun müsst, um die Katze zu bändigen, die euch sonst über die ganze Map verfolgt. Aber so viel sei gesagt - es gibt für alles einen Weg in diesem Spiel, auch wenn der nicht immer super offensichtlich ist. Und bis zum Abspann habt ihr es im Spiel auch gar nicht so lange. Ich selbst war in knapp viereinhalb Stunden durch und ich glaube recht viel mehr als maximal 7 Stunden sollt man auch nicht brauchen, wenn man sich Zeit lässt. Aber wie passt das dann zusammen mit den Rätseln, die eventuell erst in mehreren Jahren eventuell gelöst werden sollen?

Die Spielfigur ist in einem Raum mit Capybaras in Animal Well von Shared Memory Entwickler Billy Blasso und Publisher Bigmode
*cue Capybara Song here.

Als ich im Vorfeld von Personen gelesen hatten, die berichteten, dass sie schon über 20 Stunden im Spiel sind und sie immer noch nicht fertig sind, dachte ich nach meinem ersten Durchgang, ich hätte ein anderes Spiel gespielt, als der Rest der Welt. Nachdem ich die Credits gesehen hatte, noch ein bisschen weiter durch die Welt zog und aus "noch ein bisschen" plötzlich mehr als doppelt so viel Spielzeit wurde, wurde mir aber relativ schnell klar, dass das nicht der Fall war. Denn Animal Well hat unter der Oberfläche, die man im ersten Durchlauf nur leicht ankratzt, noch so viel zu bieten, womit ich überhaupt nicht gerechnet habe. Geheimnisse, von denen man im ersten Moment denkt, dass sie nur kleine Collectibles sind, entpuppen sich als storyrelevant, über die gesamte Spielwelt verteilt findet man noch neue Rätsel und selbst nach 15 Stunden Spielzeit und so viel mehr gefundenen Orten & Dingen, bin ich immer noch nicht an einem Punkt, an dem ich sagen würde: "Ja, jetzt habe ich ziemlich sicher das Meiste gesehen!". Ich hätte ehrlich nicht gedacht, dass sich in diesem Spiel so viel versteckt und ich bleibe hier extra vage, denn dieses Erlebnis will ich an dieser Stelle niemandem von euch wegnehmen.

 

Euch zugute kommt aber in jeder Situation des Spiels die verdammt genaue und hilfreiche Karte, auf der ihr selbstständig Pins setzen und sogar zeichnen könnt. Findet ihr also einmal eine Stelle, an der ihr gerade noch nicht weiter kommt, euch aber sicher seid, dass es dort noch etwas geben müsst, setzt ihr euch einfach eine Markierung auf die Karte und kommt irgendwann später wieder zurück. Eine richtige Schnellreise gibt es nicht, aber da könnt ihr euch mit dem richtigen Spielzeug bestimmt Abhilfe schaffen. Nur so als kleiner Hint. Die Suche nach den Geheimnissen und das Aufdecken der Karte war so absolut nicht frustig oder übermäßig langwierig, sondern hat wahnsinnig viel Spaß gemacht. Ein Hinweis an der Stelle nur: ich hatte schon lang nicht mehr so schwere und komplexe Rätsel in einem Spiel und habe mir seit The Witness nicht mehr so viele Notizen zu einem Spiel gemacht wie hier. Shoutout an der Stelle auch an Darf ich Vorstellen-Kumpel Kris, mit dem ich mich immer wieder ausgetauscht und diverse Hinweise und neue Erkenntnisse hin- und hergeschmissen habe. Manchmal braucht man dann doch einen kleinen Tipp oder eine zweite Sichtweise, um (nicht immer ganz so) offensichtliche Rätsel zu lösen.

Die Spielfigur steht vor dem Pfau im Eierraum in Animal Well von Shared Memory Entwickler Billy Blasso und Publisher Bigmode
Der Pfau will ganz dringend seine Eier-Sammlung vervollständigen. Quasi wie ich mit Videospielen.

Wie ihr es vielleicht schon an den Screenshots gesehen habt, präsentiert sich Animal Well in einer Retro-Pixel-Optik, die gleichzeitig wunderschöne Licht- und Schatteneffekte in Petto hat. Normalerweise mache ich das bei neueren Spielen in diesem Look nicht gerne, habe aber hier sogar den Scanline-Filter aktiviert gelassen, da dieser sehr viel zum Design insgesamt beiträgt und schön umgesetzt wurde. An manchen Stellen hat das Spiel durch den Look, das Gefühl des Verloren-seins und die Beleuchtung schon fast Survival Horror-Vibes. Gleichzeitig sorgen die verschiedenen Gebiete der Karte dafür, dass die Welt schön abwechslungsreich ist, ohne, dass irgendein Abschnitt völlig aus dem Rahmen fällt und dadurch die Stimmung darunter leidet. Unterlegt wird das gesamte Spiel durch einen eher atmosphärischen  und minimalistischen Electro-Soundtrack, der ebenfalls von Billy Basso kommt und der das mysteriöse Gefühl der Spielwelt perfekt rüberbringt.

"Animal Well ist eine einzigartige Indie-Erfahrung und je weniger ihr im Vorfeld über das Spiel wisst, desto besser."

Ich bin relativ nichtsahnend in den namensgebenden Brunnen, den das Spiel darstellt, gesprungen, der mich bis jetzt nicht loslässt und in dem ich noch so viel zu entdecken habe. Nachdem ich gute 15 Stunden investiert und vieles gefunden habe, bin ich mittlerweile sicher: das Versprechen von Billy Basso, dass manche Rätsel bestimmt nicht direkt gelöst werden (können), war nicht übertrieben. Animal Well ist eine einzigartige Indie-Erfahrung und je weniger ihr im Vorfeld über das Spiel wisst, desto besser. Eventuell hat sogar diese Review sogar schon ein bisschen zu viel verraten, aber andererseits musste ich irgendwo meine Liebe zu diesem Titel in die Welt hinaustragen. Denn wenn es uns 2024 an einem nicht mangelt, dann sind es gute Indie-Games, da sollte das hier auf keinen Fall untergehen. Insgesamt ist das vermutlich nicht für jede*n das richtige, aber wenn ihr in eurem Herz einen Platz für knifflige Rätsel, Metroidvanias und generell Spiele habt, die euch nicht an der Hand nehmen, dann solltet ihr Animal Well definitiv eine Chance geben. Und vielleicht seid ihr dann am Ende auch in einem Strudel der Begeisterung gefangen, fangt an eure Freund*innen mit reinzuziehen, damit diese mit euch miträtseln und kommt eine Weile nicht mehr los davon.

Wertung zu Animal Well von Shared Memory Entwickler Billy Blasso und Publisher Bigmode
4,5 von 5 Knödeln.